Montag, 4. Oktober 2021

Mad Max: Fury Road (2015) ist aktueller denn je

 

Ein letztes Aufbäumen einer verschwenderischen Welt: In Mad Max werden Feuer und Benzin gleichermaßen feierlich und üppig verschossen.

 

„Es wird in diesem Land Verteilungskämpfe geben.“ Dieser Satz will mir in den letzten Wochen nicht mehr aus dem Kopf. Gefallen ist er am 12.09. beim zweiten Kanzler-Triell, gesagt hat ihn Maybrit Illner. Die erdrückenden Folgen der Klimakatastrophe drängen bis vor die Haustür. Was aber macht das mit uns, wenn erst einmal die letzten Ressourcen aufgebraucht sind und die Dinge sich nicht mehr geradebiegen lassen wollen? Eine radikal ästhetische Antwort liefert Mad Max: Fury Road (2015).

Die Erde ist ausgetrocknet, Wasser ist Luxusgut, aber die Menschheit kann einfach nicht von ihrem geliebten Benzin lassen. Denn in der ewigen Wüste ist jede Strecke weit, ein Fahrzeug gilt in der neofeudalen Stammesgesellschaft des Immortan Joe als Statussymbol. Wenn er, der fette, verchromte Warlord mit seinem aus mehreren Limousinen und Traktorreifen zusammengesetzten Monstertruck ausfährt und dabei von einer ganzen Armada begleitet wird, gleicht dies einem rostigen Kreuzzug.

 

Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne) verkörpert den Archetyp des entstellten Bösewichts.


 

Sein Feind, unser Held Max Rockatansky, ist zunächst ein Gefangener des Warlords. Seine baldige Freiheit wird er aber nicht so sehr sich selbst, sondern einer kleinen Revolution verdanken: Imperator Furiosa, eine Vertraute des Immortan Joe, beschließt, aus der Tyrannei des Stammesfürsten auszubrechen. Auf einer Versorgungsfahrt steuert sie ihren riesigen Lastzug kurzerhand ins Niemandsland, an Bord fünf Mätressen – einige der letzten Menschen auf Erden, deren wohl gehütetes Erbgut von Dürre und Dauersonne verschont geblieben ist. Max versucht, sich des Lastzuges zu bemächtigen, lässt sich dann aber doch auf ein Bündnis mit den Prinzessinnen und gegen den Tyrannen ein. Es beginnt eine spektakuläre Verfolgungsjagd durch die Wüste, und damit ist zur Story schon das Wesentliche gesagt.

Denn Regisseur George Miller geht es nicht darum, eine lange oder sonderlich clevere Geschichte zu erzählen. Der Film – das wird gerade im deutschen Schweiger/Schweighöfer-Wohlfühlkitschkino immer wieder gerne vergessen – ist ein visuelles Medium. Auch international ist ein Trend zum gut gemeinten, aber unnötigen Gefasel zu beobachten. Vom Joker (2019) bis Cruella (2021), so scheint es, werden bald alle bekannten Franchise-Bösewichter auserzählt, durchpsychologisiert und in ihren Taten irgendwie gerechtfertigt sein. Der Perspektivwechsel erscheint als der nächste logische Schritt der filmischen Verwertungskette, wenn Fortsetzungen und Prequels nicht mehr recht greifen wollen.

 

Protagonist Max ist ein notorischer Einzelgänger.

 

Miller hingegen lässt sich nicht auf derlei Spielchen ein. Die Fortsetzung, die er serviert, ist eigentlich keine, es braucht kein Vorwissen, denn auf ein langes Schwelgen in biografischen Details der Figuren verzichtet er. Selbst unser Protagonist bleibt ein weitgehend Unbekannter, der allenfalls von kurzen, verstörenden Flashbacks heimgesucht wird, die sich schon bald wieder wie ein nervöser Fiebertraum im endlosen Bewusstseinsstrom der Wüste verflüchtigen. An die Stelle einer Therapiesitzung rückt Miller Motoren, Staub, Lärm, und sehr, sehr viele rostige Stachel. Die rasanten Karawanen, die doch immer wieder durch den unerbittlichen Wüstensand ausgebremst werden, wirken wie ein entfesselter Zoo, denn es geht nicht nur um Geschwindigkeit, sondern auch immer wieder um das Keifen, Schlitzen und Verbrennen des anderen. Ein wohliger Aufruhr steigt im Zuschauer auf, wenn stachelbewehrte Buggies und waghalsig springende Motorräder Jagd aufs Großwild machen, auf gigantische Tanklaster, aus deren Fenstern die Insassen verzweifelt in alle Richtungen schießen.

 

Der Rock'n'Roll-Kreuzzug in voller Fahrt.
 

 

Oder müsste man nicht eher von einem irrwitzigen Karneval sprechen, wenn blasshäutige Freaks an schwindelerregend langen Stäben baumeln, begierig die Gelegenheit zum Entermanöver herbeisehnend? Wenn ein an den Sehnen seiner Muskeln berstender Riese sich aus seinem Fahrzeug erhebt und ein in den Seilen seiner Altarbühne baumelnder Gitarrist den Soundtrack zur Treibjagd durch die Boxen ballert? 

Wie immer auch man sich diesem Monstrum metaphorisch zu nähern versucht, eins steht fest: Mad Max: Fury Road ist so, so viel mehr als ein Autorennen in der Wüste. Miller erzeugt die Art von Beklemmung, von der so mancher Fast and Furious-Film nicht einmal zu träumen wagt. Und es ist sicherlich keine schlechte Idee, in manch bitterlich kalter Herbststunde sich an diese warnend schwelende Hitze zu erinnern - erst als Erleichterung, dann als Mahnung. 





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