Donnerstag, 17. Januar 2019

Videospiel-Enttäuschungen – Ein kleiner Follow-up von den dilettantischen Schreiberlingen um den Thief-Reboot (2014) bis zu den Software-Ganoven um Fallout 76 (2018)


Dieser Blog ist seinerzeit aus meinem Unmut über den vermasselten Thief-Reboot (2014) entstanden. Da erscheint es nur folgerichtig, seine Wiederbelebung nach 2 Jahren Stille ebenfalls an einem Videospiel-GAU zu zelebrieren. Wer direkt zu den saftigen Fallout-News vorstoßen möchte, kann jetzt ein paar Absätze überspringen. Für alle anderen folgt an dieser Stelle eine kleine Vorgeschichte ausgewählter Game-Kontroversen der letzten paar Jahre.
 
Liebling, ich habe die Levels geschrumpft

Mein Hauptkritikpunkt an dem Thief-Reboot war, dass das Spiel seine Wurzeln komplett vergas und das umfassende, etablierte Universum durch neue, halbgare Ideen ersetzte. Statt Heiden, Hammeriten, illustren Baronen und gelegentlichen Untoten gab es nur eine platte Arm- vs. Reich-Story. Von einer innovativen Übersetzung der ambivalent gezeichneten Fraktionen der Vorgänger in eine neue Generation konnte keine Rede sein – von der alten Welt blieben gerade einmal Protagonist Garrett und Kumpel Basso übrig. Für die langweilige Schwarz/Weiß-Story gab man ersterem ein dummes Mädchen an die Hand, das sich nicht als Verwirklichung weiblicher Emanzipation, sondern als weinerlicher MacGuffin herausstellte.

Für den Reboot warf Eidos Montréal einen gierigen Blick auf zahlende Konsolenkunden und lieferte actionbetonte Quicktime-Events statt Tiefgang. Wenn Garrett 1998 beim Schleichen noch auf ein intuitives, oberflächenabhängiges Schleichsystem zurückgreifen konnte, blieb 2014 nichts davon übrig. Was 2002 riesige Level waren, wurde 12 Jahre später auf übersichtliche 4-Zimmer-Apartments zusammengeschrumpft; und während der Garrett des Jahres 2004 nur ein Auge für handverlesene Schätze hatte, wurde er im Reboot zu einem Raben, der alles stiehlt, was glänzt. Das Spiel endete als schlechter Dishonored-Klon.

Erin (Thief Reboot) beweist, dass schlecht geschriebene weibliche Charaktere kein Garant für Emanzipation sind. Quelle.

Im Universum der Thief-Reihe hat sich seither nicht viel getan. Da gab es nur ein Dementi um einen möglichen Nachfolger – kein Wunder bei solch geballter Inkompetenz, die sich auch in den Verkaufszahlen niederschlug. Angeblich ist irgendwo ein Film zur Reihe in der Mache; sicherlich ein Überbleibsel hoffnungsvoller Bestrebungen, Thief als ganz große Franchise aufzuziehen, und vermutlich inzwischen auf dem Abstellgleis.

Leere Versprechen, dann: Gambling statt Gaming

Doch wo Thief (Reboot) zwar seinen Protagonisten vom Meisterdieb zum Stümper degradierte, aber immerhin so etwas wie ein Spiel dabei herauskam, folgte in der Welt der Videospiele eine Ära leerer Versprechungen und Geldschneiderei, die in ihren schlimmsten Momenten an die bescheidenen Anfänge der Videospielindustrie erinnert, wo Softwarepublisher wie LJN den Markt mit unfertigen und unspielbaren Produkten belieferten. Bis zur verdienten Abrechnung (LJN beendete seine finsteren Machenschaften 1995) durch Filmemacher und Youtuber James Rolfe (Angry Video Game Nerd) sollte es einige Jahre dauern. Aus der jüngeren Vergangenheit seien hier zwei richtungsweisende Beispiele angeführt:

2016 gab es heftige Kritik an No Man’s Sky, welches den Spielern die unendlichen Weiten des Weltraums mit Abwechslung und Tiefgang versprach, aber stattdessen unendliche Ödnis lieferte. Man hatte versucht, das ultimative Sandbox-Erlebnis zu kreieren und war gescheitert. Die Macher von No Man’s Sky sahen ihre Fehler schließlich ein und lieferten nach - offenbar war hier wohl lediglich Inkompetenz im Spiel. 
 
Electronic Arts wiederum sorgten 2017 für Aufruhr, indem sie Star Wars: Battlefront II mit Pay2Win-Mechaniken versahen. Von echtem Geld zu bezahlende sog. Lootboxen ermöglichten es dadurch zahlungskräftigen Spielern, sich mithilfe von darin enthaltenen Gimmicks unfaire Vorteile gegenüber anderen Spielern im Multiplayer zu erkaufen. Außerdem warb das Spiel damit, dass man als Darth Vader spielen konnte – allerdings verlangte das beinharte Geduld, denn Vader konnte man erst nach 40 Stunden Spielzeit freischalten. Alternativ konnte man sich dem Freischalten nähern, indem man massenweise Lootboxen kaufte und in den zufällig bestückten virtuellen Kisten auf die erforderlichen Ingame-Credits hoffte. Nach massiven Protesten sah auch EA sich zum Handeln gezwungen und entfernte die das Multiplayer-Gameplay beeinflussenden Wirkungen der Lootboxen und reduzierte den Freischalt-Preis für Charaktere wie Vader und andere. 

2016 war, das sollte hier auch kurz Erwähnung finden, das Jahr des CS:GO Lotto-Betrugs. Es handelte sich dabei um eine Webseite, auf der Spieler von Counter Strike: Global Offensive virtuelle Verzierungen (Skins) für ihre Waffen im beliebten Team-Shooter erspielen konnten – natürlich auch per Lootbox-Prinzip. Ganz schön peinlich, als dann aufflog, dass die beiden Betreiber der Seite (Tmartn und Prosyndicate) in ihren Youtube-Videos begeistert dafür Werbung gemacht hatten (man sieht die beiden fröhlich „zocken“), ohne diese als solche zu kennzeichnen. „Oh, sieh nur, schon wieder eine extrem seltene Skin!“ – so ein Zufall aber auch. 
 
Auch Counterstrike-Entwickler Valve störte sich an dem Glücksspiel für Kinder erst einmal nicht so sehr – bis er verklagt wurde. Der Trend zum Multiplayer-Shooter mit bezahlbaren Zusatzinhalten (DLC) und insbesondere Lootboxen scheint unterdessen ungebrochen. Auf das quietschbunte Overwatch (ebenfalls 2016) folgte 2017 das noch quietschbuntere Fortnite. Und in diese von Skandalen gebeutelte Welt der Videospiele wurde schließlich, im Herbst 2018, Fallout 76 hineingeboren.

Electronic Arts überreizte die Geduld der Spieler: Entweder ewig spielen, bis man die Helden freigeschaltet hatte - oder draufzahlen. EAs Kommentar, man wolle damit einen "Sense of Pride and Accomplishment" ansprechen, wurde mit den bisher meisten Dislikes in der Geschichte von reddit quittiert. Quelle.

Fallout 76: The Game was rigged from the Start

Fallout 76 möchte gerne auch etwas von diesem großen Multiplayer-Lootbox-Kuchen abhaben. Doch Gerüchte um eigens für Fallout 76 vorgesehene Lootboxes („Lunchboxes“), die bereits für den Ingame-Shop vorgesehen waren, bilden nur die Spitze des Eisbergs, auf den Fallout 76 in den letzten paar Wochen zielsicher zugesteuert ist.

Die ersten Skeptiker traten bereits nach der E3-Ankündigung auf den Plan. Fallout im Multiplayer? Wird das gut, oder bestenfalls durchschnittlich? Inzwischen sind einige bis zum Release bewusst behütete Unklarheiten, etwa die Behauptung, man könne selbstverständlich ebensoviel Spaß als Einzelgänger haben, geklärt. Fallout 76 ist ganz klar als Multiplayerspiel konzipiert und erfordert eine ständige Onlineverbindung. Tatsächlich setzt das Spiel ganz verzweifelt auf diesen Aspekt, denn obwohl man so viel Manpower wie in keinem Fallout-Spiel zuvor einspannte, hielt man es nicht für nötig, NPCs, also Nichtspielercharaktere, einzubauen. Wer das Spiel der Story wegen spielt, darf Textschnipsel lesen und (die gab es schon früher), Audioaufzeichnungen von längst verstorbenen Nebencharakteren sich anhören. Und das ist Fallout 76 in erster Linie auch: Tot.

Einer der zahlreichen Bugs lässt die Powerrüstungen von den Spielern verschwinden und sieht in Kombination mit überlangen Gliedmaßen gar nicht mal so gut aus. Quelle.

Auf dem Papier klingt die Idee durchaus spannend: Erstmals in der Fallout-Reihe sind ausschließlich echte Menschen, d. h. andere Spieler, an der Erdoberfläche anzutreffen. Die Spieler erleben die Welt frisch nach jahrzehntelanger Einkerkerung in den experimentellen Atomschutzbunkern (Vaults). Das Problem hieran ist aber, dass Menschen nun mal Menschen sind – ein Risikofaktor für gute Erzählungen und tendenziell anarchistisch. Niemand sagt einem, was man tun oder lassen soll. Keiner wird einen belohnen, wenn man ein paar Atomzombies abknallt, sondern jeder sucht seine eigene Beute, egoistisch, für sich. Wer keine eigenen Freunde mit ins Spiel bringt, kann sich der Kooperation nicht immer sicher sein. Und das weit verstreut auf riesigen Maps auf Servern, auf die gerade mal 24 Spieler passen. Wer dann doch mal auf einen Spieler trifft, der läuft Gefahr, in sehr reale Streitigkeiten zockender Familienväter und -mütter zu geraten – permanente Voice-Übertragungen (kein push-to-talk) machen’s möglich. Und der PVP-Modus ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei.

Nun ist Gameplay immer so eine Sache. Manche Spieler sind eher wie Touristen, die bereits mit hübschen Landschaften gut abgespeist sind, und über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten. Dennoch muss sich Bethesda den Vorwurf gefallen lassen, dass deren mehrere Jahre alte Engine nicht mehr beeindruckend ist.

Ein weiterer Kritikpunkt sind die zahlreichen und offensichtlichen Bugs. Nun ist zwar allgemein bekannt, dass Videospielehersteller in Zeiten wachsender Budgets und Ansprüche unter einem ungeheuren Druck stehen – riesige Teams müssen aufeinander abgestimmt werden und Termine, insbesondere zum ergiebigen Weihnachtsgeschäft, müssen oft (so scheint es zumindest) auf Biegen und Brechen eingehalten werden. Da nimmt man als Spieler gerne in Kauf, dass der Veröffentlichungstermin eines Videospiels in der Regel nicht der Moment ist, an dem das Spiel auch tatsächlich fertig ist. Patches haben sich als brauchbare Methode etabliert, Probleme fix zu beheben. Wenn das Spiel aber in der ersten Woche, wie hier geschehen, einen Patch benötigt, der fast so groß wie es selbst ist, ist Kritik berechtigt. 
 
Trotzdem passierten dann immer wieder Bugs, die absolute Immersionskiller sind: Gegner, die einfrieren und in der Gegend oder Luft stehenbleiben; Gegner, deren Gliedmaßen über mehrere Meter sich strecken oder einfach auf den letzten Metern unkaputtbar werden, weil die eigene Waffe beschließt, keinen Schaden mehr anzurichten. Framerate-Einbrüche, denen auch modernste Grafikkarten nicht trotzen können; Verbindungsabbrüche allenthalben und selbstgebaute Häuser (denn Minecraft musste man ja auch abkupfern), die sich kurze Zeit später in Luft auflösen. Drei Spieler zünden Atomraketen, und der Server bricht zusammen. Ein Spieler fleht den Support an, weil er unsterblich geworden ist. Solche Sachen, und das zuhauf. Das Ausmaß der technischen Fehlleistungen, die Modder in früheren Spielen binnen weniger Wochen lösen konnten und die dennoch hier erneut, in gefühlt tausendster Iteration auftauchen, sind erschütternd. Wer sich retrospektive Todd Howards süffisante Bemerkung anhört, ja, Bethesdas Spiele hätten wohl zuweilen Bugs, wird in Anbetracht dieses Desasters nichts anderes als blanken Hohn erkennen können. Man fragt sich: Hat Todd Howard überhaupt noch etwas mit dem Spiel zu tun? Oder ist er einfach die lederjackentragende Gallionsfigur eines einst großen Entwicklerstudios, welches sich längst leidenschaftslosen Peer-Analysten und anderen Schreibtischtätern ausgeliefert hat?

Todd Howard erzählt Märchen. Quelle.


Bethesda – Fans sind gut, Geld ist besser 

Wenngleich ich aber im vorherigen Absatz den Bugs viel Raum eingeräumt habe, ist das, wenn man in die Metaebene der Vermarktung und der Kundenbetreuung blickt, nur ein Nebenschauplatz eines radikalen Markensuizids. Denn abgesehen von technischen Problemen hat Bethesda noch ganz andere Inkompetenzen zu bieten – etwa die horrenden Preise für kosmetische DLCs, z. B. für besondere Powerrüstungen und Helme, die gerne mal ab 10 Euro aufwärts gehen. Ich persönlich gehöre ja noch einer recht analogen Generation an, die ohnehin nicht viel von für das Gameplay irrelevanten, kosmetischen Zusatzkäufen hält. Dennoch macht sich hier Bethesdas Raffgier (so muss man es wohl nennen) bemerkbar, verschlimmert nur dadurch, dass manche Dinge, die in Fallout 4 noch kostenlos waren (Tattoos z. B.) nun auch mit Preisschild versehen wurden UND dass viele virtuelle Waren zu einem Fakediscount angeboten wurden (Weihnachtsmannoutfits für 12 Dollar statt für 24 Dollar – nur dass sie zu letzterem Preis nie angeboten wurden).

Viel übler aber ist Bethesdas Betrugsmasche bei der Collector’s Edition. Diese sollte, ganz analog, hochwertige Segeltuchtaschen enthalten – tatsächlich bekamen die Spieler dann aber nur billige, knittrige Nylontaschen. Erst hieß es, es tue einem ja sehr leid, aber man werde deshalb wohl leider nichts unternehmen – Pech gehabt, peasants! Dann zeigte sich Bethesda vermeintlich großzügig und legte einer Bauernschläue an den Tag, die man sonst nur von Betreibern von Autobahn-WCs kennt (wer kennt diese Sanifair-Gutscheine, von denen man nichts vollständig bezahlen kann?) – natürlich bekommen die Spieler einen Refund, aber nur in Form eines 5 Dollar-Gutscheins für den Ingame-Shop! Dafür, das bemerkten dann einige spitzfindige Youtuber, bekommt man nicht mal die digitale Version der Segeltuchtasche! Tragisch, und auch tragisch, wie Bethesda dann bei den eigenen Ausreden versagte: Erst hieß es: Materialknappheit; dann fanden wieder andere Leute raus: Die Taschen waren tatsächlich nur für Influencer (Youtube-Lobbyisten) und gar nicht für den Pöbel gedacht. 
 
Erst als eine Sammelklage drohte, zeigte man bei Bethesda die volle Einsicht und tauschte die Taschen aus. Außerdem machte man die Kaufpreisrückerstattung einfacher, die man zuvor bewusst erschwert hatte, indem man selbst die physischen Spielehüllen nur mit umtauschtechnisch unklaren Downloadcodes statt DVDs ausgestattet hatte. Aber auch hierüber schwebte die allumfassende Inkompetenz: Weil der Support sich verzettelt hatte, bekamen manche Kunden sensible Daten anderer Kunden zugelost. 


Für normale Kunden gab es leider nicht die fesche Tasche links, sondern nur das knittrige Ding rechts. Quelle.

Von Negativschlagzeilen überwältigt, brachte es Bethesda Ende des Jahres immerhin auf die Reihe, den enttäuschten Spielern von Fallout 76 die vorherigen Fallout-Titel zu schenken. Nach wie vor versucht Bethesda das Schiffswrack, das sie da abgeliefert haben, zu flicken, und haut ein Update nach dem anderen raus, wird aber immer wieder von neuen Aufregern eingeholt. Der neueste Skandal übrigens betrifft schlecht codierte Dateien, die es Spielern ermöglichen, Items zu duplizieren und mit dem Handel zuweilen auch echtes Geld zu machen. 

Der Schaden ist jedenfalls angerichtet. Nicht nur der gute Ruf ist dahin; auch für Elder Scrolls VI sieht es momentan ganz, ganz schlecht aus. Denn entweder ist hier die nächste große Enttäuschung in der Mache und wir können uns alle verabschieden von einem Entwickler, der jahrzehntelang Game-of-the-Year-Awards einstreichen durfte. Oder hier muss jemand mächtig am Ruder reißen, und das auf Kosten der Entwicklungszeit. An ihrer antiken Engine, das hat Bethesda jedenfalls schon zu verstehen geben, wollen sie festhalten. 
 
All diese Entwicklungen zeigen überdeutlich, dass manche Industrie-Riesen durchaus bereit sind, mit Magelware gegen hartes Geld zu tauschen. Aber das Beispiel No Man's Sky zeigt auch, dass eine Kurskorrektur zugunsten der Spieler möglich ist.

Mitten in Bethesdas Kernschmelze meldeten sich Obsidian zu Wort. Mit einem hämischen Zwinkern erinnerten sie die Fans daran, dass sie die besseren Entwickler von Fallout (New Vegas) sind und so ganz nebenbei ein eigenes Action-RPG in der Pipeline haben (The Outer Worlds). Ich gönne ihnen den vollen Erfolg und bin in froher, wenn auch vorsichtiger Hoffnung, bald wieder ein vernünftiges Spiel in den Händen halten zu dürfen (Schade um Bethesda ist’s trotzdem).


 In diesem Sinne: Frohes Neues!