Aldous Huxleys Roman Brave
New World von 1932 zählt zu den Meilensteinen der Weltliteratur. Der Roman antizipiert den menschlichen Eingriff in biologisches Erbmatieral - ein Thema, dass Jahrzehnte später in Form von
Klonschaf Dolly (1996-2003) erschreckend greifbar wurde - und denkt einen Schritt weiter: Was wäre, wenn genetische Optimierung zur Leitkultur würde? Für diese Review setze ich mich
mit einer deutschen Übersetzung des Romans auseinander (Schöne Neue Welt, 2006,
S. Fischer).
Dass Huxleys Science-Fiction-Roman so bedeutsam ist, hängt
zweifelsfrei damit zusammen, dass schon ein Jahr nach Erscheinen sich eine Ära
anschloss, die der Dramatik seiner Bio-Dystopie entsprach. Die Biopolitik des Dritten Reiches mit ihren Schädelvermessungen und Euthanasiemorden beweist die tiefen Abgründe, zu denen eine von Ethik befreite Wissenschaft fähig ist.
|
Schöne neue Welt, 2006 in 63. Auflage in deutscher Übersetzung erschienen im Fischer Taschenbuch Verlag. |
Nach ähnlichen Mechanismen funktioniert auch Huxleys
Dystopie, allerdings wesentlich subtiler als die auf Barbarei gegründete
Diktatur der Nationalsozialisten. Beide Systeme beruhen auf Verdrängung und
Blindheit: Während das Dritte Reich seine Mordmaschinerie in abgeschotteten Lagern
betrieb und in der Öffentlichkeit lieber die kollektive Kriegslust inszenierte,
findet der Leser in Huxleys Welt eine schein-perfekte spätkapitalistische Gesellschaft vor, in der jedes Rädchen genetisch und psychisch auf seine Rolle programmiert ist. Die innere Leere, die sich immer mal wieder
einstellt, wird mit einer Schlafdroge namens Soma abgetötet.
Natürlich ist dort wie hier ein Freidenker und Grübler wie
Sigmund Marx (ein heute ziemlich zusammengeschustert klingender 'sprechender' Name) nicht gern
gesehen. Von Beruf her ist der junge Mann ein "Schlafschulspezialist", dessen Haupttätigkeit darin besteht, sich für die Burtstätten des Regimes möglichst eindringliche, ins Unbewusste dringende Reime auszudenken, die Kinder in ihren Träumen auf ihre Rolle im System vorbereiten. Er ist jedoch ganz
offensichtlich unterfordert von dieser Aufgabe und führt lange Unterhaltungen
mit seinem Freund, Helmholtz Watson (auch ein komischer Name).
Marx ist nicht nur ungewöhnlich klein für seine Kaste („Alpha
Plus“), sondern hat auch eine ziemliche Tendenz zur Monogamie, beides Dinge,
die kritisch beäugt werden in einer Gesellschaft, wo jeder als das Eigentum
seines Nächsten gilt. In Huxleys Dystopie werden menschliche Beziehungen, wie
alle Aspekte des emotionalen Lebens, bewusst oberflächlich gehalten, sodass allzu
starke Emotionen zugunsten gesellschaftlicher Harmonie vermieden werden. Huxley versteht es, die verschiedenen Grautöne dieser inhärent tristen Welt zum Vorschein zubringen.
Gleich zu Beginn wird dem Leser klar
gemacht, dass es sich um eine trostlose, leistungsorientierte Welt handelt, in
der die Produktivität zählt und wenig mehr. Die herrschende Ideologie dieser
sinnentleerten Welt ist der Fordismus, eine ausgehöhlte Religion, die sich vor den geköpften Kreuzen des Christentums versammelt, um die vom T-Modell eingeführte Massenproduktion zu vergöttern. Ein tolles Konzept, das allerdings von der Übersetzung geschwächt wird: Geräuschwörter wie „Rutschiputschi“ können die Immersion doch ziemlich beeinträchtigen. Ich denke, dass der Leser mit der englischen Version besser beraten ist.
Huxley kontrastiert seine spätkapitalistische Dystopie mit einem Wilden-Reservat, einer kleinen Insel außerhalb der technisierten Zivilisation, in
dem der abgeschottete Rest der Welt lebt. Hier leiden die Menschen noch an
Krankheit und Alter, sind vom Wetter abhängig und führen das mindestens ebenso
trostlose Leben von Zootieren, die von Marx und seiner Freundin bestaunt werden.
Zwar verhilft die Berührung beider Welten dem nicht ausschließlich sympathischen
Marx kurzzeitig zu gesellschaftlicher Anerkennung, aber letztlich erweist sich der Brückenschlag als utopisch, was die große tragische Pointe des Romans ausmacht. Die
eingestreuten Shakespeare-Zitate, die als Lichtquelle im kollektiven Dunkel der
heruntergekommenen Zivilisation herhalten sollten, machten auf mich einen eher
unpassenden Eindruck, selbst als bewusst gesetzte Abgrenzung.
Was also ist von Huxleys revolutionärem Roman zu halten?
Sicher ist, dass er an Aktualität nichts eingebüßt hat. Die Konsumgesellschaft, die scheinbar unbekümmert
den Kalten Krieg überstanden hat, muss kritisch beobachtet werden. Wissenschaftlicher Fortschritt und der Reichtum Einzelner darf nicht aus gesellschaftlicher Spaltung und Unterdrückung gedeihen. Huxleys Roman erinnert uns daran; und auf
Englisch sicherlich in schönerem Stil.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen