Dienstag, 25. Oktober 2016

Aldous Huxley: Schöne neue Welt - Und wie sieht's heute aus?




Aldous Huxleys Roman Brave New World von 1932 zählt zu den Meilensteinen der Weltliteratur. Der Roman antizipiert den menschlichen Eingriff in biologisches Erbmatieral - ein Thema, dass Jahrzehnte später in Form von Klonschaf Dolly (1996-2003) erschreckend greifbar wurde - und denkt einen Schritt weiter: Was wäre, wenn genetische Optimierung zur Leitkultur würde? Für diese Review setze ich mich mit einer deutschen Übersetzung des Romans auseinander (Schöne Neue Welt, 2006, S. Fischer).

Dass Huxleys Science-Fiction-Roman so bedeutsam ist, hängt zweifelsfrei damit zusammen, dass schon ein Jahr nach Erscheinen sich eine Ära anschloss, die der Dramatik seiner Bio-Dystopie entsprach. Die Biopolitik des Dritten Reiches mit ihren Schädelvermessungen und Euthanasiemorden beweist die tiefen Abgründe, zu denen eine von Ethik befreite Wissenschaft fähig ist.

Schöne neue Welt, 2006 in 63. Auflage in deutscher Übersetzung erschienen im Fischer Taschenbuch Verlag.

Nach ähnlichen Mechanismen funktioniert auch Huxleys Dystopie, allerdings wesentlich subtiler als die auf Barbarei gegründete Diktatur der Nationalsozialisten. Beide Systeme beruhen auf Verdrängung und Blindheit: Während das Dritte Reich seine Mordmaschinerie in abgeschotteten Lagern betrieb und in der Öffentlichkeit lieber die kollektive Kriegslust inszenierte, findet der Leser in Huxleys Welt eine schein-perfekte spätkapitalistische Gesellschaft vor, in der jedes Rädchen genetisch und psychisch auf seine Rolle programmiert ist. Die innere Leere, die sich immer mal wieder einstellt, wird mit einer Schlafdroge namens Soma abgetötet. 

Natürlich ist dort wie hier ein Freidenker und Grübler wie Sigmund Marx (ein heute ziemlich zusammengeschustert klingender 'sprechender' Name) nicht gern gesehen. Von Beruf her ist der junge Mann ein "Schlafschulspezialist", dessen Haupttätigkeit darin besteht, sich für die Burtstätten des Regimes möglichst eindringliche, ins Unbewusste dringende Reime auszudenken, die Kinder in ihren Träumen auf ihre Rolle im System vorbereiten. Er ist jedoch ganz offensichtlich unterfordert von dieser Aufgabe und führt lange Unterhaltungen mit seinem Freund, Helmholtz Watson (auch ein komischer Name). 

Marx ist nicht nur ungewöhnlich klein für seine Kaste („Alpha Plus“), sondern hat auch eine ziemliche Tendenz zur Monogamie, beides Dinge, die kritisch beäugt werden in einer Gesellschaft, wo jeder als das Eigentum seines Nächsten gilt. In Huxleys Dystopie werden menschliche Beziehungen, wie alle Aspekte des emotionalen Lebens, bewusst oberflächlich gehalten, sodass allzu starke Emotionen zugunsten gesellschaftlicher Harmonie vermieden werden. Huxley versteht es, die verschiedenen Grautöne dieser inhärent tristen Welt zum Vorschein zubringen.
 
Gleich zu Beginn wird dem Leser klar gemacht, dass es sich um eine trostlose, leistungsorientierte Welt handelt, in der die Produktivität zählt und wenig mehr. Die herrschende Ideologie dieser sinnentleerten Welt ist der Fordismus, eine ausgehöhlte Religion, die sich vor den geköpften Kreuzen des Christentums versammelt, um die vom T-Modell eingeführte Massenproduktion zu vergöttern. Ein tolles Konzept, das allerdings von der Übersetzung geschwächt wird: Geräuschwörter wie „Rutschiputschi“ können die Immersion doch ziemlich beeinträchtigen. Ich denke, dass der Leser mit der englischen Version besser beraten ist.

Huxley kontrastiert seine spätkapitalistische Dystopie mit einem Wilden-Reservat, einer kleinen Insel außerhalb der technisierten Zivilisation, in dem der abgeschottete Rest der Welt lebt. Hier leiden die Menschen noch an Krankheit und Alter, sind vom Wetter abhängig und führen das mindestens ebenso trostlose Leben von Zootieren, die von Marx und seiner Freundin bestaunt werden. Zwar verhilft die Berührung beider Welten dem nicht ausschließlich sympathischen Marx kurzzeitig zu gesellschaftlicher Anerkennung, aber letztlich erweist sich der Brückenschlag als utopisch, was die große tragische Pointe des Romans ausmacht. Die eingestreuten Shakespeare-Zitate, die als Lichtquelle im kollektiven Dunkel der heruntergekommenen Zivilisation herhalten sollten, machten auf mich einen eher unpassenden Eindruck, selbst als bewusst gesetzte Abgrenzung.

Was also ist von Huxleys revolutionärem Roman zu halten? Sicher ist, dass er an Aktualität nichts eingebüßt hat. Die Konsumgesellschaft, die scheinbar unbekümmert den Kalten Krieg überstanden hat, muss kritisch beobachtet werden. Wissenschaftlicher Fortschritt und der Reichtum Einzelner darf nicht aus gesellschaftlicher Spaltung und Unterdrückung gedeihen. Huxleys Roman erinnert uns daran; und auf Englisch sicherlich in schönerem Stil.

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